New Work und Recruiting
Ein Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt, wie kann Recruiting hier unterstützen?
New Work. Arbeiten 4.0. An diesem Begriff kommt heute kaum jemand vorbei. Laufend wird über New Work berichtet, gebloggt und diskutiert. Doch was ist eigentlich wirklich gemeint mit New Work? Wie verändert New Work unsere Arbeitswelt und wie kann Recruiting dies frühzeitig mit einbeziehen?
Kerstin Ortwerth von 4Talents im Gespräch mit Vanessa Jobst-Jürgens, systemischer Management Coach sowie Unternehmensberaterin für Veränderungsprozesse und Expertin für das Thema New Work. Mitte 2018 führte Vanessa Jobst Jürgens eine eigeninitiierte Studie zum Thema New Work durch. Sie wollte verstehen, was New Work für Unternehmen, Arbeitnehmer und unsere Gesellschaft bedeutet. Hierzu befragte sie 12.000 Personen, unterschiedlichster Generationen (ältere Mitarbeiter, Eltern sowie die Generationen Z,Y,X und die Babyboomer in großen, kleinen und mittelständischen Unternehmen). Zusätzlich zu den qualitativen und quantitativen Interviews gab es eine qualitative Gruppendiskussion mit Generationengruppen und ein New Work Panel, welches online mit fünf Unternehmen (u.a. Novartis, die Kartenmacherei), jeweils mit einem unterschiedlichen Reifegrad im Bereich New Work, durchgeführt wurde.
Ebenfalls mit im Gespräch Vanessa Van Heckeren, Marketing Coordinator bei Google, zuvor einige Jahre bei XING, und Autorin des Blogs recruitingZirkus.de, welchen sie gemeinsam mit ihrem Freund Jean-Luc Arpaia betreibt.
Kerstin Ortwerth: Herzlich willkommen! Schön, dass ihr heute meine Gäste seid.
Vanessa, ihr schreibt auf eurem Blog super lustige und zugleich informative Artikel. Wie kam es zu der Idee und wer ist eure Zielgruppe?
Vanessa Van Heckeren: Über meine Tätigkeit bei XING bin ich zu dem Thema New Work gekommen. Wie man vielleicht verfolgen konnte, ist New Work die Marschrichtung, in die XING gehen möchte. Sie wollen New Work sein, New Work verkörpern und daher befasste ich mich viel mit der Definition von New Work, was ist das überhaupt und was vielleicht auch nicht. Ich bin an dem Thema drangeblieben und mit dem Blog recruitingZirkus.de bloggen wir über alle Themen die New Work, Recruiting, Active Sourcing sowie Employer Branding beinhalten. Mit dem Fokus, Zukunftsthemen zu besetzten, was wird sich verändern, und was müssen wir beachten um Talente für sich zu gewinnen.
Wir versuchen mindestens drei Artikel im Monat zu schreiben. Dabei versuchen wir fachliche Inhalte in unterhaltsamer Weise zu transportieren und das Thema entsprechend aufzulockern.
Zielgruppe sind definitiv Recruiter und Employer Branding Manager.
Kerstin Ortwerth: Kommen Recruiter auch proaktiv auf euch zu?
Vanessa Van Heckeren: Super häufig. Entweder um einen Gastbeitrag schreiben zu wollen oder um näher in den direkten Austausch / Dialog zu gehen.
Kerstin Ortwerth: Wie muss ich mir einen solchen Austausch bzw. Dialog vorstellen?
Vanessa Van Heckeren: Häufig geht es um einen ersten Austausch bezüglich Ideen einer Employer Branding Strategie. Sprich, wie kommuniziere ich zeitgemäß und bringe „frischen Wind“ in meinen Unternehmensauftritt? Wie kann ich ein purpose für mein Unternehmen identifizieren und diesen in der Employer Branding Strategie spielen? Wenn man sich heutzutage Stellenanzeigen durchliest ist das klassische nullachtfünfzehn doch noch häufig zu finden und damit lockt man heutzutage niemanden mehr hinterm Ofen hervor, dass geht besser.
Kerstin Ortwerth: Wir bei 4 Talents gehen immer stark ins Briefing mit unserem Kunden, wenn es um die Besetzung einer Position geht und die mögliche Stellenanzeige. Dennoch beobachte ich häufig, dass es Kunden schwerfällt, den Blick bei einer Stellenanzeige auch auf die Werte des Unternehmens zu richten oder die Atmosphäre des Unternehmens wirklich authentisch in Worte zu fassen. Ich habe das Gefühl, hier fehlt es an der Sprachfähigkeit oder der entsprechenden Wortwahl.
PURPOSE IS THE KEY schon mit der Stellenanzeige
Vanessa Van Heckeren: Wenn man sich eine klassische Stellenanzeige anschaut, dann können die dir alles bieten und machen dich in allem maximal glücklich. Aber von Werten wird häufig bis nie gesprochen. Aber die besten Benefits, die tollste Atmosphäre, die flachsten Hierarchien und noch eine überdurchschnittlich gute Vergütung. Der Kickertisch nicht zu vergessen. Ich denke, dass viele Leute das heutzutage hinterfragen und sich fragen, wo denn die Authentizität ist. Wer bist du wirklich? Und was kannst du mir bieten, damit ich zum einen erfolgreich bin und zum anderen in einer Atmosphäre arbeite, in der ich mich wohlfühle. Wo lege ich den Schwerpunkt in meiner Stellenanzeige? Dass ist das was heutzutage eingefordert wird.
Vanessa Jobst Jürgens: Sicher nicht von allen Generationen. Aber klar, es rücken immer mehr Leute nach, die eben diese Vorstellungen haben. Dieses „old school“ Ding wächst sich mit der Zeit definitiv raus. Daher auch interessant zu sehen, dass einige Unternehmen immer noch meinen, dieses Employer Branding brauchen wir nicht. Die Frage ist halt, wie lange noch. Neulich hat jemand zu mir gesagt, es heißt nicht mehr Recruiting, sondern Inviting.
Kerstin Ortwerth: Auch wenn wir jetzt schon mitten drin sind, bitte definiert doch noch einmal, was für euch persönlich New Work eigentlich ist?
Vanessa Jobst Jürgens: Für mich ist es sehr einfach. New Work bedeutet für mich, ganz nach Frithjof Bergmann: „Jeder kann im Unternehmen das tun was er wirklich, wirklich will.“ Und ich ergänze dann immer noch, was er wirklich kann. Weil ich davon überzeugt bin, dass ein Mensch erst dann erfolgreich ist, egal ob er selbständig oder in einem Unternehmen tätig ist, wenn er etwas gut kann und dies auch umsetzt. Da kann natürlich ganz viel miteinander verknüpft sein, der Obstkorb und der Kickertisch aber definitiv nicht. Das sind Notlösungen von Unternehmen, die noch nicht erkannt haben, dass es da um Kulturthemen und Führungsthemen geht. Und auch um Employer Branding, also die richtigen Leute ins Unternehmen zu holen.
Vanessa Van Heckeren: Ich bin super nah an Vanessas Definition. Für mich ist New Work absolut eine Kultur, die geschaffen wird. Und vor allem eine Kultur, in der es jedem ermöglicht wird seine Leistung, die er oder sie erbringen kann, zu erbringen. Einen Rahmen, in dem Karriere gemacht werden kann. In einer Atmosphäre, in der er oder sie sich wohlfühlt und die Freiheit hat, Dinge zu tun und zu entscheiden. Durch die Recruiting Brille betrachtet ist hier das Wichtigste der „cultural fit“.
Kerstin Ortwerth: Wenn wir einmal auf deine Studie gucken, wie definieren Unternehmen New Work für sich? Und wie tun das die Mitarbeiter?
Vanessa Jobst Jürgens: Im Unternehmenskontext wurde New Work schon etwas differenzierter betrachtet. Ich habe bemerkt, dass in großen Unternehmen, die über gewachsene Strukturen verfügen, der Begriff New Work eher als „irgendwie müssen wir das jetzt machen, wir wissen noch nicht genau wie, aber wir müssen ja unsere Leute halten“ verstanden wird. Bei jüngeren Unternehmen hingegen ist es eher eine Kulturfrage im Sinne von „uns gibt es jetzt noch nicht so lange, wir haben jetzt noch die Möglichkeit die Kultur so aufzubauen, wie wir es für richtig halten“.
„New Work ist keine Maßnahme, sondern eine Kultur“
Kerstin Ortwerth: Wie schaffen Unternehmen es, New Work zu verankern und als Kultur zu leben? Habt ihr Ideen wie New Work wirklich langfristig in Unternehmen etabliert werden kann?
Vanessa Van Heckeren: Es braucht gewisse Stabsstellen, die das Thema für sich verankern, es richtig verstehen und entsprechend ins Unternehmen tragen. OKR (Objectives and Key Results) Prozesse wären sicher auch ein gutes Vorgehen um das Thema langfristig zu verankern und nicht in alte Muster zu verfallen. Hier geht es im Grunde darum, dass alle ganzheitlich an einem Unternehmensziel arbeiten und jedem transparent ist, was er oder sie dazu beiträgt. Im Grunde eine Führungs- oder Steuerungsmethode. DIE Methode, die Google so erfolgreich gemacht hat. Sie soll Transparenz, Fokus und Kommunikation fördern.
Recruiting kann von der Steuerungsmethode OKR profitieren siehe Blog RecruitingZirkus
Kerstin Ortwerth: Wie kann der Recruiting Prozess verbessert werden, um das Thema New Work direkt mit einzubeziehen?
Vanessa Jobst Jürgens: Innerhalb meiner Studie war klar ersichtlich, dass über alle Generationen hinweg nahezu 50% der Befragten es gut fänden, wenn sie von Anfang an mit in den Recruiting Prozess eingebunden und im Vorfeld entsprechend innovativ angesprochen werden. Zum Beispiel wollen Kandidaten gerne im Recruiting Prozess schon ihr gesamtes Team kennenlernen.
Vanessa Van Heckeren: Ganz wichtig ist es, denke ich, einen echten Einblick zu bekommen – Thema cultural fit. Wie ist es bei diesem Arbeitgeber zu arbeiten? Weg von der nullachtfünfzehn Formulierung. Mit Videomaterial arbeiten. Die Führungskraft stellt sich vor. Das Team stellt sich kurz vor. Hier könnte dein Arbeitsplatz sein. Das sind die Räumlichkeiten. Das kann ich mir dann jederzeit angucken.
Authentisch produzierte Videos für einen ersten Einblick – kein Imagevideo
Kerstin Ortwerth: Auf den Punkt gebracht: Was sind die wichtigsten Aspekte, die Recruiter heute berücksichtigen sollten?
Vanessa Van Heckeren: Das ist nicht wirklich etwas Neues, gilt aber mehr denn je. Recruiter sollten sehr persönlich auf die Kandidaten/innen eingehen. Der Kandidat oder die Kandidatin sollten merken, dass sich im Vorfeld intensiv mit ihm/ihr beschäftig wurde.
Darüber hinaus ist es die Aufgabe des Recruiters, authentisch zu transportieren, wie es sich anfühlt in einem Unternehmen XY zu arbeiten. Kickertisch und Obstkorb sind keine Entscheidungskriterien.
Zu guter Letzt, was ist der Sinn des Unternehmens. Purpose driven arbeiten. Unilever macht das z.B. super gut, indem sie ihren purpose ganz klar auf Nachhaltigkeit setzt und nach außen kommuniziert.
Vanessa Jobst Jürgens: Was ich noch hinzufügen möchte, nach dem Recruiting Prozess, Kandidaten bzw. Mitarbeiter nicht fallen zu lassen. Es darf nicht passieren, dass sich nach dem Onboarding nicht mehr um mich gekümmert wird und man sich lost fühlt.
Vanessa Van Heckeren: Ein weiterer wichtiger Punkt, der nicht zu verachten ist – Feedback einholen. Feedback einholen von Kandidaten bzw. Mitarbeitern, die bereits entschieden haben zu gehen. Was war gut, was war schlecht. Das sind hilfreiche Informationen, die ich zu Beginn des Recruiting Prozesses wieder nutzen kann. Gleichzeitig hat dieses Vorgehen etwas mit der Wertschätzung der jeweiligen Person zu tun.
Kerstin Ortwerth: Super spannendes Thema. Meine Kollegin hat vor kurzem über das Thema Exit-Interviews einen Artikel geschrieben.
Wenn ich mir die Definition von New Work noch einmal anschaue: „Jeder kann im Unternehmen das tun, was er wirklich, wirklich will.“. Wenn im Vergleich dazu das Thema, wie wollen wir in Zukunft eigentlich arbeiten, dann bemerke ich schnell, dass die Themen Vereinbarkeit und New Work stark zusammenhängen. Vereinbarkeit betrifft aktuell und in Zukunft nicht mehr nur Mütter. Vielmehr auch Menschen, die zum Beispiel eine zweite Karriere aufbauen wollen, die ältere Menschen pflegen, die sich parallel selbständig machen wollen. Die Bandbreit ist groß. Daher meine letzte Frage, kann Recruiting das Thema Vereinbarkeit unterstützen?
Vanessa Jobst Jürgens: Recruiter sollten frühzeitig das Thema Vereinbarkeit mit ansprechen. Am besten direkt zu Beginn eines Briefings für eine neue Position.
Kerstin Ortwerth: Das machen wir grundsätzlich. Wir fragen immer, ob auch 30 Stunden möglich wären. Oder wie es mit Homeoffice-Optionen aussieht etc. Leider mache ich immer wieder die Erfahrung, dass Unternehmen hier noch viel Luft nach oben bieten. Ist euch das Thema Jobsharing / Jobtandem schon mal live begegnet? Sprich, wird das vielleicht wirklich schon irgendwo gelebt?
Vanessa Van Heckeren: Die Flexibilität der Unternehmen muss größer werden, um den ganzen verschiedenen Anspruchsgruppen gerecht zu werden. Halbtags darf zukünftig einfach kein Thema mehr sein.
Vanessa Jobs Jürgens: Führungstandems sind ein sehr spannendes Thema, um dem gerecht zu werden. SAP z.B. schreibt Führungspositionen nur noch als 50 % Stelle aus und versucht die Personen dann entsprechend zu matchen.
Führungstandems als zukunftsweisender Weg
Vanessa Van Heckeren: Aktuell sind Führungstandems meiner Meinung nach eher selten anzutreffen. Wenn große Unternehmen diesen Weg einschlagen ist das mediale Interesse groß. Ich denke viele Leute fragen sich „Kann das wirklich funktionieren?“
Organisatorisch wird das Konstrukt definitiv ein Mehraufwand sein. Aber nicht zu verachten, ich habe eine multiperspektivische Sicht auf Themen. Deine Führungskraft wird zu Zweien und die beiden können immer miteinander sparren.
Vanessa Jobst Jürgens: Du kannst dir quasi ein „Führungsmonster“ schaffen. Die eine Person kann einige Dinge gut bzw. hat bestimmte Qualitäten, die andere wiederum kann etwas anderes besser. Was am Ende wahrscheinlich sogar dazu führt, dass die Personen jeweils mehr als 50 % arbeiten.
In meiner Studie habe ich gefragt: „In meinem perfekten Job kann ich mir meinen Job mit einer anderen Person teilen“. Die positive Rückmeldung auf diese Frage lag bei 35 %, die sich dies wünschen würden. Steigend mit jeweils höherem Alter. Gerade die 51-69 Jährigen fänden diese Möglichkeit super.
Das Ergebnis hat uns alle drei leicht verwundert. Aber sicherlich ein nachvollziehbarer Aspekt, um beispielsweise die eigene Rente vorzubereiten. Und damit ganz klar, New Work betrifft nicht nur die jüngeren Generationen. Lasst uns anfangen Kulturen zu schaffen, die Freude machen zu arbeiten!
Kerstin Ortwerth: Vielen lieben Dank für eure Zeit.