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Digitale Transformation in Verlagshäusern
Was bedeutet digitale Transformation für Verlagshäuser? Und warum bieten Medienhäuser nicht nur Lebensraum für Journalisten, sondern auch für Software- und Produktentwickler oder digitale Salesprofis? Johannes Vogel ist Geschäftsführer der digitalen Unit der Süddeutschen Zeitung und erzählt im Interview mit 4Talents-Beraterin Annika Urbat, welchen Herausforderungen sich das Traditionsunternehmen stellen musste – und welche noch zu meistern sind.
4Talents: Onlinejournalismus bedeutet schlicht, dass Journalismus online stattfindet. Beschreibt also lediglich das Medium. Was aber bedeutet digitaler Journalismus in Abgrenzung dazu?
Johannes Vogel: Dafür gibt es keine allgemeingültige Definition, daher kann ich nur beschreiben, was digitaler Journalismus für mich und unser Haus bedeutet. Früher hat es keine Rolle gespielt, ob ein Journalist eine Geschichte inhaltlich für die Printausgabe oder die Internetseite eines Mediums produziert hat. Die gleiche Geschichte wurde sowohl on- als auch offline publiziert. Journalisten, die für Onlineredaktionen gearbeitet haben, benötigten daher keine anderen Fähigkeiten als die Kollegen in der Printredaktion. Das ist heute anders. Der Begriff digitaler Journalismus beschreibt für uns neue Formate, Herstellungs- und Produktionsprozesse, die neue technische Möglichkeiten mit sich gebracht haben – und immer noch bringen. Die Digitalisierung hat sowohl die Strukturen in Verlagen als auch die Arbeitsweise von Journalisten nachhaltig verändert.
4Talents: Würden Sie von einer digitalen Transformation sprechen?
Johannes Vogel: Zunächst galt es lediglich digitale Prozesse zu installieren, also beispielsweise Druckvorlagen digital bereitzustellen. Hier würde ich noch nicht unbedingt von einer Transformation sprechen. Eine echte Umformung begann, als klar war, dass neue Technologien sowohl den Journalismus als auch das gängige Verlags-Geschäftsmodell verändern.
Journalisten müssen sich mit neuen multimedialen Erzählformen auseinandersetzen, die anders als früher eine hohe technische Kompetenz voraussetzen und keinen Druckschluss mehr kennen. Sie erhalten außerdem direktes Feedback auf ihre Geschichten und die Leser erwarten, dass Autoren in Dialog mit ihnen treten. Gleichzeitig sind Informationen nicht mehr so exklusiv wie einst – Autoren und Lesern stehen zum Teil gleiche Recherchemöglichkeiten zur Verfügung, was dazu führt, dass genauer nachgefragt wird und Leser sehr viel kritischer hinterfragen können. Der Journalist ist also nicht länger ein Hüter geheimen Wissens, sondern ist nahbarer geworden. Hinzu kommt, dass er eine gewaltige Flut an Informationen verarbeiten, analysieren und bewerten muss – und das häufig unter hohem zeitlichen Druck und ohne, dass die Qualität der Recherche darunter leiden darf.
Darüber hinaus haben sich die Arbeitsabläufe in Redaktionen extrem verändert. Früher arbeitete alles auf den Druckschluss hin. Zeitung oder Magazin wurden fertiggestellt, um dann den Zyklus von neuem zu beginnen. Der digitale Journalismus hingegen ist ein stetig fließender Strom mit dynamischen, fließenden und ineinandergreifenden Prozessen.
Der Journalist ist nicht länger Hüter geheimen Wissens
4Talents: Wie haben Sie diese Transformation praktisch bewältigt?
Johannes Vogel: Wir haben 2011 begonnen, Print- und Onlineredaktionen aneinander näher zu bringen. Unser Ziel war es, dass beide Seiten verstehen, wie die Arbeit des Anderen funktioniert – bezogen auf den Herstellungsprozess, die Produktion von Inhalten, die Aufbereitung für den Leser sowie deren unterschiedlichen Nutzungsbedürfnissen. Printredakteure haben zeitweise in der Onlineredaktion gearbeitet und umgekehrt. Parallel haben wir Arbeitsgruppen gegründet und uns gefragt, wie sich Planungsabläufe in Zukunft durch die Verknüpfung beider Welten verändern oder wie Themen – beispielsweise große Sportereignisse oder die Attentate in Paris – ganzheitlich kuratiert werden. Wir haben beschlossen, dass wir Print und Online nicht trennen, sondern dass beide Angebote Themen gemeinsam behandeln und dem selben Qualitätsanspruch unterliegen, jedoch deren spezifischen Stärken nutzen.
4Talents: Arbeiten Produktentwicklung und Redaktion heute enger zusammen als früher?
Johannes Vogel: Mittlerweile arbeiten Redaktion und Technik täglich zusammen, denn eine multimedial erzählte Geschichte kann nur erfolgreich sein, wenn von Anfang an Screendesigner, Multimediaspezialisten und Entwickler beteiligt sind.
Darüber hinaus ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Produktentwicklern und Journalisten vor allem wichtig, wenn es um die Entwicklung unserer Produkte in Summe geht, also beispielsweise wenn die Entwicklung eines neuen App-Konzepts im Raum steht.
Zusätzlich arbeiten in den Produktteams Softwareentwickler, UX-Experten oder Big Data-Spezialisten, die sich kontinuierlich agilen Prozessen wie der stetigen Verbesserung von Features, der Usability im mobilen Angebot oder der Entwicklung einer neuen App auf Android widmen. Alle gemeinsam arbeiten mit unterschiedlichen Schwerpunkten an der Aufgabe, journalistische Angebote bestmöglich für unsere Leser zu präsentieren und zugänglich zu machen.
4Talents: Sind auf diese Weise neue Arbeitsplätze entstanden?
Johannes Vogel: Ja, mit dem Start unserer digitalen Ausgabe 2011 gab es einen regelrechten Boom und bis heute hat sich die Anzahl der Mitarbeiter mit digitalem Bezug in Etwa verdoppelt. Und da der Bedarf so schnell wächst, dass wir ihn kaum bedienen können, sind wir ständig auf der Suche nach neuen Köpfen.
Die Anzahl der Mitarbeiter mit digitalem Bezug hat sich verdoppelt
4Talents: Bieten Verlage beispielsweise Softwareentwicklern ein ausreichend spannendes Habitat?
Johannes Vogel: Noch vor drei Jahren war es schwierig, Entwickler für die Arbeit in einem Zeitungsverlag zu gewinnen. Die Aufgaben der Digitaleinheiten galt als nicht besonders anspruchsvoll oder herausfordernd. Das hat sich verändert, denn neben einem Arbeitsumfeld, das Raum für echte Innovationen bietet und in dem mittlerweile eine Vielzahl von digitalen Produkten entstehen, sind wir ein starker Partner. Wir können nicht den Thrill eines 20-köpfigen Start-Ups in einem Berliner Hinterhof bieten, dafür aber andere Vorteile. Wir wissen heute, dass es uns auch noch die nächsten Jahre geben wird. Wir sind nicht auf Finanzierungsrunden und Investitionen von Stakeholdern angewiesen – wir haben etablierte Strukturen, die für Unabhängigkeit und Stabilität sorgen.
Hier ist Raum für persönliche und fachliche Weiterentwicklung und es herrscht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Innovation und Stabilität. Und vielleicht auch nicht ganz unwichtig: der attraktive Standort in München und eine starke Marke.
Digitaler Wandel und Printmedien
4Talents: Bilden Sie alle digitalen Aspekte inhouse ab?
Johannes Vogel: Wir sehen die kontinuierliche Weiterentwicklung unserer Formate als Kernkompetenz, weshalb alles in der internen Verantwortung liegt. Das heißt, auch wenn wir unsere Produktteams durch externe Entwickler und Dienstleister ergänzen, wird das Projekt von jemanden aus unserem Haus gesteuert und verantwortet. Ziel ist es, alle Schritte bei uns abzubilden, aber im Moment bekommen wir gar nicht so schnell gute Leute, wie wir sie bräuchten. Früher haben wir einfach eine große Druckmaschine benötigt, welche dann 25 Jahre lief und in erster Linie gut gewartet werden musste. Heute bauen und entwickeln wir quasi jeden Tag und jede Woche viele kleine Druckmaschinen und die Komplexität nimmt stetig zu. Hier gilt es, den Überblick zu behalten und zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung zu treffen – das Geschäft besitzt nicht mehr die Stabilität von einst.
4Talents: Mobile first – viele Unternehmen haben das Gefühl, hier einen wichtigen Trend zu spät erkannt zu haben. Wie ist das bei Ihnen?
Johannes Vogel: Unsere Kernkompetenz besteht nicht darin, first mover zu sein. Anders ist das sicherlich zum Beispiel. in der Game -Entwicklung oder im eCommerce. Wir werden immer eine etwas ausgeruhtere Dynamik haben als andere Branchen. Unsere Aufgabe ist es zu erkennen, wo sich Trends festigen und zu elementaren Veränderungen führen. Da spielt Mobile eine entscheidende Rolle. Für uns ist es wichtig, agil zu sein und die Bedeutung von Trends für uns realistisch einschätzen zu können. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass unsere Zielgruppe immer breiter und größer wird, geht es nicht so sehr darum, dass wir wie in den letzten 70 Jahren das allumfassende Endprodukt herstellen und das alle fünf bis zehn Jahre weiterentwickeln. Unsere Aufgabe ist es herauszufinden, welche Subformen von Endprodukten wir bedienen müssen, um auch künftig Leser zu erreichen und zu begeistern. Dabei müssen wir den Kern unserer Marke schützen und nicht auf Kosten von Qualität allen digitalen Trends nachjagen.
4Talents: Hat der Transformationsprozess in Ihrem Haus den höchsten Punkt bereits überschritten?
Johannes Vogel: Es ist immer noch wahnsinnig aufregend. Was glücklicherweise weniger aufregend geworden ist, ist das interne Unverständnis zwischen den klassischen und den digitalen Bereichen. Alle haben verstanden, dass es getrennt voneinander einfach nicht mehr geht, sondern dass der Schlüssel zum Erfolg Kooperation bedeutet. Daher gibt es deutlich weniger Grabenkämpfe als zu Beginn des Prozesses. Und wir entwickeln uns permanent weiter: Überall wo sich Organisationen und Prozesse maßgeblich verändern, ist es nicht mit einem Changeprozess getan, der nach einem Jahr abgeschlossen ist und anschließend ist alles ist gut. Unser Geschäft unterliegt einem permanenten Wandel. Das wiederspricht der menschlichen Natur in ihrem Wunsch nach Stabilität und Kontinuität. Im Management dieses permanenten Wandels geht es also darum, diese Bedürfnisse auf eine andere Ebene zu heben, für Stabilität zu sorgen und den Wandel innerhalb eines geschützten Rahmens stattfinden zu lassen. In der Vergangenheit waren das weniger dringliche Aufgaben im Management – heute gehört diese Art von Auf- und Erklärungsarbeit unbedingt dazu. Wir sind aufgefordert, unsere strategische und kommunikative Arbeit im Management deutlich transparenter zu gestalten und so Ängste vor dem permanenten Wandel zu nehmen.
4Talents: Wird die gedruckte Zeitung im Zuge des Wandels früher oder später aussterben? Ist Print wirklich tot?
Johannes Vogel: Nein. Auf den Titel heruntergebrochen waren Zeitungen und Magazine schon immer ein Nischenprodukt. Selbst eine Süddeutsche Zeitung als überregionaler Titel hatte zu ihren besten Zeiten eine Auflage von nur 440.000 Stück. Das ist gemessen an 40 Millionen Haushalten hierzulande nicht viel. Printprodukte sind lediglich in der Summe aller Titel ein Massenprodukt. Selbst die Bildzeitung mit zwei Millionen verkauften Exemplaren ist im Vergleich zu Facebook mit 30 Millionen Nutzern in Deutschland kein Massenprodukt. Das ist aber kein Grund zur Beunruhigung.
Die gedruckte Zeitung ist und bleibt im Gesamtsystem eine wichtige Komponente. Sie wird zunehmend ein Luxusprodukt, da sie vergleichsweise teuer scheint. Während Leser heute die Möglichkeit haben, sich gezielt über ein Thema zu informieren, bietet eine Zeitung eine vielfältige Themenauswahl und dient dazu, sich umfassend und nicht nur punktuell zu informieren. Daher haben Zeitungen immer einen entsprechenden Preis, der vielleicht in Zukunft weiter ansteigen wird. Aber das gilt wohl für alle Qualitätsprodukte. Dem entgegen stehen Angebote wie Blendle. Dort können Leser sich ganz gezielt Artikel und Beiträge zu Themen zusammenstellen und einzeln erwerben.
4Talents: Google hat 2014 gemeinsam mit Verlagen und Medienhäusern die Digital News Initiative (DNI) gegründet, um gemeinsam an der Zukunft des digitalen Journalismus zu arbeiten. Besonders innovative Projekte sollen mit Hilfe eines 150 Millionen Euro schweren Fonds gefördert werden. Manche sprechen von einem Pakt mit dem Teufel. Was ist Ihre Meinung?
Johannes Vogel: Anfangs wurde vieles sehr interessensorientiert interpretiert und auch Google hatte in der Kommunikation nicht immer ein glückliches Händchen. Es gibt ja durchaus Bereiche, in denen Kritik an Google durchaus berechtigt ist.
Die Diskussion war aber leider auch sehr stark davon geprägt, dass Medienhäuser, welche relevante Vergleichsportale und e-Commerce-Plattformen neben ihren journalistischen Angeboten betreiben, die unterschiedlichen Themenfelder bewusst oder unbewusst immer wieder miteinander vermischt haben. Die DNI betrifft hier aber nur einen überschaubaren Bereich der Aktivitäten von Google und ist wiederum in drei relativ unabhängige Säulen aufgeteilt. Für uns ist Google in Summe ein Frenemy. Bezogen auf den Bereich DNI sehen wir jedoch vor allem auch Chancen.
Für uns ist Google in ein Frenemy
4Talents: Zum Beispiel?
Johannes Vogel: Über die Säule der Produktentwicklung innerhalb der DNI, aber auch schon vor dieser Initiative ist Google in Gesprächen sehr offen und interessiert daran, was Google zur Stärkung von Qualitätsjournalismus beitragen kann. Hieraus entstehen dann Produkte wie Google Shields, der Whitelabel-Videoplayer von youtube oder auch AMP. Die Einflussmöglichkeiten scheinen uns hier deutlich größer zu sein, als zum Beispiel bei Facebook oder Apple. Dem gegenüber sehen wir den Innovationsfond als weitere Säule der DNI eher kritisch und werden uns daran auch nicht beteiligen, um so unabhängig wie möglich zu bleiben. Es ist jedoch naiv zu behaupten, dass wir uns den großen Digitalplayern komplett verschließen und wir dadurch gewinnen könnten. In manchen Bereichen sind Abhängigkeiten schon längst entstanden. Ob wir wollen oder nicht.
Herausforderungen für das Marketing
4Talents: Welchen Einfluss hat der digitale Wandel auf die Vermarktung Ihrer Produkte?
Johannes Vogel: Hier stehen wir vor wirklich großen Herausforderungen. Wir haben zwar eine interne Vermarktungseinheit, aber im Kern vermarkten wir unsere Produkte über einen Partner. Unser Ziel ist es allerdings, intern deutlich mehr Knowhow aufzubauen und konzeptionell stärker zu werden. Wie werden vermehrt eigene Kapazitäten in den Bereichen Analytics und Big Data aufbauen, um besser zu verstehen, was da gerade passiert. Was bedeutet Programmatic Advertising für uns in Summe? Wie funktionieren neue Trends? Wie gehen wir effektiv mit der AdBlocker-Thematik um? Hier warten viele komplexe Themen auf uns, mit denen wir uns intensiv beschäftigen.
4Talents: Bezahlter Journalismus im Netz – hier haben viele Verlage experimentiert und versucht, rentable Modelle zu finden. Wie gehen Sie vor?
Johannes Vogel: Die gute Nachricht ist, dass bezahlter Journalismus auch digital funktioniert. Wenn man es richtig macht (lacht). Es gibt dabei aber keinen Königsweg, weshalb wir weiterhin verschiedene Modelle testen, darunter auch das Angebot von Blendle. Momentan sind wir recht erfolgreich mit unserem Freemium- und Metered-Modell, aber nicht ausreichend erfolgreich in Relation zu den Risiken, welche wir nach wie vor im Printgeschäft sehen. Dennoch ist es uns gelungen, innerhalb von drei Jahren ähnlich viel Umsatz im Lesermarkt zu machen wie nach 20 Jahren Werbevermarktung im klassischen Anzeigengeschäft. Der Lesermarkt ist so stark angestiegen, dass wir mit einem Bruchteil unserer Gesamtleser heute diese Umsätze generieren können – das macht Mut. Der weitere Erfolg hängt dabei auch von der Geschwindigkeit in der Produktentwicklung ab und davon, neue spezielle Produkte für klar umrissene Zielgruppen zu erfinden. Es kann nicht funktionieren, wenn wir eine Preisliste über süddeutsche.de hängen – wir müssen jedem relevanten Lesersegment entsprechende Angebote unterbreiten. Das bedeutet auch künftig wachsende Komplexität, die wir sinnvoll gestalten müssen.
4Talents: Wir halten fest: Sie haben immer noch viel zu tun und auch nach erfolgreicher digitaler Transformation steht jede Menge Arbeit an.
Johannes Vogel: Richtig. Die Digitalisierung hat alle Arbeitsbereiche dahingehend verändert, dass sie weniger starr als vielmehr in ständiger Bewegung sind. Das verlangt nicht nur während des Wandels sondern auch in Zukunft ein hohes Maß an Agilität. Vorbei die Zeit, wo ein Geschäftsführer einsame Entscheidungen trifft. Wir glauben daran, dass wir als Organisation gut beraten sind, Entscheidungen auf eine breitere Basis zu stellen und damit auf das Fundament, dass wir hier gerade mit allen Mitarbeitern neu gießen.